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Julia Bachleitner

Neue Wege gehen

Es erschien mir wie ein Wunder dass ich überhaupt wieder einmal so weit gekommen bin. Und mich meine desolaten Füße so weit getragen haben. Ganz oben liegt die Sillianer Hütte, in der ich zweimal übernachtet habe. Im Foto erscheint sie genauso unerreichbar, wie sie für mich lange war.
Während der Wanderung habe ich ein paar mal an das gleichnamige Lied von Reinhard Fendrich gedacht. Die Freiheit da oben ist wirklich grenzenlos. Alle waren wir fasziniert von dem Ausblick. Die Wirtin der Sillianer Hütte hat ihn jeden Tag vor der Tür und die anderen Gäste wollten ihn vermutlich auch mit Heim nehmen.
Ich hatte so oft das Gefühl, dass alle anderen an mir vorüberziehen. Und ich nicht in der Lage war mitzuhalten. Sie alle haben einen Weg für sich gefunden. Aber meiner ist so oft unsichtbar geblieben.
Manchmal erscheint mir etwas in weiter Ferne und total unerreichbar. Viel schneller und besser gerüstet. Und verschwindet hinter meinem Horizont. Trotzdem möchte ich da hin und schauen was weiter geschieht. Also erst einmal schwimmen lernen? Oder gibt es doch einen Weg drumherum?
In aller Früh vor dem Hellwerden am höchsten Berg treibt der Hirte schon seine Schafe auf die nächste Weide. Sie alle sind am Foto nicht so gut erkennbar und sehr bald im Nebel verschwunden. Wie so vieles in meiner Vergangenheit.
Und dann, ganz plötzlich, ist sie da, die Sonne. Und leuchtet alles ganz wunderbar aus. Nichts wirkt mehr bedrohlich. Und es gibt keinen Grund mehr zur Angst.
Irgendwann erkennt man den Weg der vor einem liegt dann doch sehr gut. Und er erscheint sehr schön. Aber es kann immer auch etwas Unvorhergesehenes passieren. Auch etwas Gutes kommt manchmal unwartet. Wie etwa die rosa Hütte im ersten Bild. Die wäre hier auch zu sehen, wenn nicht einer der Berge den Blick versperren würde.
Dort oben in den Bergen konnte ich lernen immer einen Schritt nach dem anderen zum nächsten Ziel zu machen. Und mich in der Zwischenzeit auf das Schöne zu konzentrieren, das direkt vor mir liegt.

Die Idee für die Reise war einen Weg zu finden mit dem gerade erst diagnostizierten Aufmerksamkeitsdefizit und seinen oft noch unbekannten Auswirkungen klar zu kommen. Also bin ich für ein paar Tage mit meiner Lieblingskamera in die osttiroler Alpen verschwunden, um dort nach Fotografien zu suchen, die meine Gefühle illustrieren. Es heißt ja ein Bild sagt mehr als tausend Worte – und in Bildern habe ich schon immer ein passables Ausdrucksmittel gefunden. Alle Wanderer, die ich dort traf, schienen sehr beeindruckt und sprachlos ob meiner Geschichte – aber die größte Sprachlosigkeit betrifft mich selbst.
Für 4 Tage habe ich ohne viel nachzudenken 775 Fotografien einfach so drauflos geschossen. Dort war ich oft in meinem Perfektionismus gefangen, der dazu diente die seltsame Fehlerhaftigkeit meines Gehirns zu kompensieren. In der darauffolgenden Woche habe ich allmählich 8 Fotografien davon ausgewählt, die sehr eindrucksvoll zeigen, wie es mir geht und was ich gelernt habe – so kann ich meine Sprachlosigkeit überwinden. Ich wünsche mir nicht mehr darüber nachdenken zu müssen, was früher war oder darüber besorgt zu sein, was andere wohl dachten.