Julia Gaisbacher
One Day You Will Miss Me, 2017-ongoing
»One Day You Will Miss Me« ist ein laufendes Projekt, das seit 2017 den Bau des Luxusviertels “Belgrade on Water” in Belgrad an der Save – eines der größten Immobilienprojekte in Europa – visuell dokumentiert und analysiert.
Dieses Stadtteilentwicklungsprojekt verändert seit 2015 den Stadtteil Savamala mit dem Uferbereich und seinem alten Hafen, dem Hauptbahnhof und den Wohngebieten sowie der gesamten Stadtlandschaft der Hauptstadt. Das Projekt umfasst 1,8 km2 mit Hunderten von Wohnungen in ikonischen Türmen, dem größten Einkaufszentrum in Südosteuropa und dem neuen Wahrzeichen Belgrads – einem 168 Meter hohen Glasturm am Ufer der Save. Das Projekt wird von der serbischen Regierung verwaltet und mit Hilfe des privaten Investors Eagle Hills aus Abu Dhabi umgesetzt. Umstritten ist unter anderem, dass es von der serbischen Regierung ohne öffentliche Ausschreibung eines Architekturwettbewerbs oder eines Bürgerreferendums genehmigt wurde.
In zwei Projektphasen habe ich bei meinen halbjährlichen Besuchen seit 2017 diese Veränderungen mit den Mitteln des Videos und der Fotografie festgehalten. Neben dieser Dokumentation fanden bei meinen Besuchen auch Treffen und Gespräche mit Anwohnern, Künstlern, Kuratoren und Aktivisten statt.
Die erste Projektphase zeigt die urbanen und sozialen Bedingungen der Stadt Belgrad in einer s/w-Fotoserie zu einem Zeitpunkt, als die ersten Wohntürme von “Belgrad am Wasser” gebaut und später fertiggestellt wurden. Mit der Wahrnehmung eines Fremden habe ich die ersten Türme als Referenzpunkte genutzt, um mich in der Stadt zurechtzufinden. In den Bildern stelle ich den Alltag, die schnellen architektonischen Veränderungen, Proteste gegen die Regierung und Eagle Hills, von “Belgrad am Wasser” organisierte Veranstaltungen und ganz allgemein die Transformation des Stadtteils Savamala dar. Gleichzeitig zeige ich auch einen Zustand des neuen Luxusviertels, der nicht repräsentativ ist und deshalb noch nicht zu sehen sein soll.
In der zweiten Phase des Projekts bin ich einen Schritt näher an die Baustelle und ihre Auswirkungen auf das tägliche Leben der Menschen in Belgrad herangegangen. Aus dieser Perspektive konzentriere ich mich auf die Diskrepanzen und Spannungen zwischen den Realitäten des Alltags und den hochglanzpolierten Wunschszenarien und -subjekten, die in den von der Vermarktung der geplanten Wohnungen produzierten Bildern dargestellt werden. Lücken und Schäden in den Bauzäunen geben Einblicke und konfrontieren kommerzielles Ideal und Realität. Als Teil der Serie habe ich Details der gerenderten Inneneinrichtung (in Form von Stillleben) aus diesen Plakaten nachgestellt, um auf die konstruierten Wünsche des neuen privatisierten Raums hinzuweisen und darauf, auf welche Weise uns diktiert wird, wie ein gutes und am Ende homogenisiertes glückliches Leben auszusehen hat.
Biographie
Julia Gaisbacher, geboren 1983 in Grambach bei Graz, lebt und arbeitet als Künstlerin und Fotografin in Wien. In ihrer Arbeit beschäftigt sie sich mit den komplexen Zusammenhängen zwischen sozialen Konventionen im öffentlichen Raum, Architektur und Repräsentation in verschiedenen Medien.